Damit hatte niemand gerechnet. Auch Kabinettskollegen des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissov waren überrascht, als dieser am 20. Februar 2013 den Rücktritt der Regierung erklärte.
Das Ende der GERB-Regierung wurde in einer Parlamentssitzung am Folgetag durch die Nationalversammlung angenommen. Somit ist es nach der bulgarischen Verfassung nun an Staatspräsident Rosen Plewneliew (ebenfalls GERB), eine Übergangsregierung zu formen. Borissov hat eine diesbezügliche Mitbeteiligung durch seine Partei abgelehnt. Die Neuwahlen sind für April geplant.
Borissov rechtfertigte seine Entscheidung mit den andauernden Protesten in vielen Städten des Landes. Auslöser dieser Proteste waren die nach Ansicht der Demonstranten fehlerhaften Stromrechnungen. Am Vortag des Regierungsrücktritts war es in Sofia zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, was von Borissov gleichfalls als ein Argument vorgebracht wurde – er wolle keine blutigen Auseinandersetzungen an der Adlerbrücke sehen. Die Adlerbrücke war Autragungsort der beschriebenen Auseinandersetzungen, sie befindet sich im Zentrum der Hauptstadt in unmittelbarer Nähe des Parlaments.
Demonstrationen begannen wegen Stromrechnungen
Die Demonstranten, deren Bilder die Fernsehnachrichten in Bulgarien dominierten, sind alles andere als homogen zu bezeichnen: Neben den Stromkritikern gibt es Demonstranten, die gegen die Praxis der Privatbanken aufbegehren. Von dieser Gruppe wird eine stärkere Kontrolle des Bankensektors durch die Bulgarische Nationalbank gefordert, um für mehr Markttransparenz und stabilere Zinssätze zu sorgen (die seitens der Privatbanken oft sehr kurzfristig geändert werden können – was in den letzten Jahren so manchem Kreditnehmer das Genick gebrochen hat).
Hinzu kommen noch Demonstranten, deren Motivation einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber den politischen Parteien (nicht alleine gegenüber der bis vor Kurzem regierenden rechtspopulistischen GERB) zuzuordnen ist und die „eine Beteiligung des Volkes“ einfordern. Politik wird von dieser Gruppierung mit Mafia gleichgesetzt.
Schließlich sei auf die Gruppe derjenigen hingewiesen, die sich als soziale Verlierer des neuen Bulgariens sehen. Hier denkt man zuvorderst an die Rentner, die oft mit 100 Euro im Monat auskommen müssen. Durch die steigende Arbeitslosigkeit sehen sich auch immer mehr junge Menschen in einer schwierigen Situation – und entscheiden sich häufig dazu, Bulgarien den Rücken zu kehren und etwa nach Deutschland auszuwandern.
Vorgezogene Neuwahlen – kein Favorit erkennbar
Für die nun anstehenden Neuwahlen ist nicht absehbar, welche politische Kraft eine Regierungsmehrheit erreichen wird. Borissovs Weg zum Ministerpräsidenten war, nachdem er bereits einige Jahre Bürgermeister der Hauptstadt Sofia gewesen war, absehbar. Doch ein gleichermaßen charismatischer Parteiführer ist in der derzeitigen Parteienlandschaft nicht auszumachen.
Sicherlich wird Borissov und seine Partei GERB auch bei den Neuwahlen ein gutes Ergebnis erzielen. Wie stark sein plötzlicher Rücktritt, der ihm viel Kritik eingebracht hat, seine Popularität nun in Mitleidenschaft zieht, wird sich im April bei den vorgezogenen Parlamentswahlen zeigen. Seine Sympathiewerte waren bereits vor dem Beginn der Proteste merklich zurückgegangen. Nominell hätten Neuwahlen im Juli angestanden, weshalb möglicherweise auch politisches Kalkül ihren Teil zum Regierungsrücktritt beigetragen haben könnte.
In den vergangenen 16 Jahren zeigten alle bulgarischen Regierungen eine grundsätzlich pro-europäische Haltung. Die vier Ministerpräsidenten, die Bulgariens Politik in dieser Zeit bestimmten, gehörten alle unterschiedlichen Parteien an. Doch ein jeder erkannte die Chancen, die eine Integration in die europäischen Strukturen für das kleine Balkanland bot und bietet.
Bulgarischer Pro-Europakurs nicht in Gefahr
Bulgarien ist auch in der aktuell etwas turbulenteren Zeit immer noch ein politisch und wirtschaftlich stabiles Land. Ein Vergleich mit Griechenland kann hier nicht gezogen werden. An den außenpolitischen Konstanten und der Offenheit für ausländische Investitionen wird sich unter keiner der theoretisch möglichen Regierungsmehrheiten etwas ändern.
Im Falle eines Wahlgewinns der sozialistischen BSP unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Sergei Stanishev könnte es jedoch zu einer Änderung des Steuersystems kommen. Bulgarien hat mit seiner Flat-Tax in Höhe von 10 Prozent, die sowohl für Einkommen als auch für Unternehmensgewinne gilt, einen der niedrigsten Steuersätze in der Europäischen Union. Die BSP, die dieses Steuersystem zu Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung selbst eingeführt hatte, möchte nun offensichtlich zu einem System mit einer progressiven Besteuerung wechseln und dies zu einem Wahlkampfthema machen. Fest steht: soziale Themen werden im beginnenden Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen.