Deutschlands Wirtschaft steht vor einer zentralen Herausforderung: dem akuten Fachkräftemangel, der ein erhebliches Wachstumshemmnis darstellt. Um diesem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (seit 2023 in Kraft) erlassen, das den Zugang zu internationalen Talenten erleichtern soll. In diesem Kontext rückt Bulgarien als strategischer Talentpool in den Fokus. Dank seiner EU-Mitgliedschaft und der Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte, von denen viele über Deutschkenntnisse verfügen, bietet das Land ein bedeutendes Potenzial für Deutschland. Ein strategisches Management dieser Zuwanderung ist entscheidend, um die Potenziale voll auszuschöpfen.

Deutschlands akuter Fachkräftebedarf
Der deutsche Arbeitsmarkt weist in zahlreichen Sektoren erhebliche Fachkräftelücken auf. Im April 2025 wurden der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine hohe Anzahl offener Arbeitsstellen gemeldet. Besonders betroffen sind Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung, wo über 21.000 Vakanzen bestehen und zusätzlich rund 300.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen. Auch Experten der Sozialarbeit und Sozialpädagogik werden dringend gesucht, mit über 18.000 offenen Stellen in Bereichen wie Berufsbegleitung, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Schulsozialarbeit. Im Gesundheits- und Krankenpflegebereich, einschließlich der Altenpflege und Physiotherapie, besteht ebenfalls eine große Lücke von über 18.000 Stellen. Handwerkliche Berufe im Elektro- und Baubereich sind ebenfalls stark nachgefragt, wobei Verzögerungen bei Bauvorhaben auf den Fachkräftemangel zurückzuführen sind. Darüber hinaus werden im Maschinenbau rund 8.000 Fachkräfte benötigt.

*Datenquelle: Bundesagentur für Arbeit. (2025). Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung. – statistik.arbeitsagentur.de
Zu den zehn am häufigsten gesuchten Berufen in Deutschland gehören Software-Entwickler, Elektroniker, Gesundheits- und Krankenpfleger, IT-Berater, Wirtschaftswissenschaftler, Kundenbetreuer, Produktionshelfer, Vertriebsmitarbeiter, Sales Manager und Architekten/Bauingenieure. Im Jahr 2025 zeigt sich ein insgesamt zurückgehender Bedarf an Fachkräften, was jedoch nicht bedeutet, dass der Fachkräftemangel behoben ist. Während einige Branchen Jobverluste verzeichnen, etwa das Verarbeitende Gewerbe (-94.000 Jobs) oder die Zeitarbeit (-72.000 Arbeitskräfte), wachsen andere Sektoren stark. Besonders im Gesundheitswesen entstanden 45.000 neue Jobs, in der Pflege und im sozialen Bereich 57.000, im öffentlichen Dienst 51.000, im Bereich Erziehung und Unterricht 93.000, sowie in qualifizierten Unternehmensdienstleistungen, Verkehr und Logistik, Finanzen und Versicherungen und im Bergbau/Energie/Wasser/Entsorgung.

*Datenquelle: Bundesagentur für Arbeit, Hartmann, M., Klaus, A., Beckmann, R. & Singer, K. (2025). – arbeitsagentur.de
Ein weiterer besorgniserregender Trend ist der Anstieg des Anteils nicht formal qualifizierter Arbeitskräfte bei den 20- bis 34-jährigen Erwerbspersonen um 3 Prozentpunkte auf 13 Prozent zwischen 2013 und 2024.
Bulgarien: Zwischen Brain Drain und Talentpool
Bulgarien ist eines der Länder, die besonders stark vom Brain Drain betroffen sind. Seit 1990 hat das Land einen erheblichen Bevölkerungsrückgang erlebt, der maßgeblich durch Abwanderung aufgrund wirtschaftlicher Disparitäten innerhalb der EU vorangetrieben wird. Bulgaren suchen höhere Löhne, bessere Arbeitsplatzsicherheit und verbesserte Lebensbedingungen in Westeuropa. Auch interne Probleme wie Korruption und schwache öffentliche Dienste tragen zur Emigration bei.

*Datenquelle: World Economic Outlook (WEO) Datenbank. (2025, 22. April). IWF. – www.imf.org
Die Auswirkungen des Brain Drains auf Bulgarien sind gravierend, da sie zu einem Rückgang des Humankapitals führen und das Wirtschaftswachstum bremsen. Insbesondere Sektoren wie das Gesundheitswesen leiden unter dem Verlust qualifizierter Arbeitskräfte.

*Datenquelle: World Population Prospects. (o. D.). – ec.europa.eu
Für eine umfassende und detaillierte Analyse des Brain Drains in Bulgarien, einschließlich spezifischer Zahlen, genauer Ursachen und Auswirkungen auf einzelne Sektoren, siehe auch Arbeitskräftewanderung in der EU: Bulgarien zwischen Brain Drain und Brain Gain.
Bulgarien als strategischer Talentpool für Deutschland
Deutschland profitiert stark vom Brain Drain in Bulgarien, da es das bevorzugte Zielland für bulgarische Migranten ist. Im Jahr 2024 lebten 371.128 bulgarische Staatsbürger in Deutschland, viele von ihnen sind überdurchschnittlich gut ausgebildet. Die Zuwanderung aus osteuropäischen Ländern hat den demografischen Wandel in Deutschland gebremst und zur Fachkräftesicherung beigetragen.
Das bulgarische Bildungssystem bietet praktisches Wissen und stellt weltweit anerkannte Diplome aus. Deutsch ist die zweithäufigst gelernte und gelehrte Schulfremdsprache in Bulgarien, was die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtert.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Erleichterungen
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz und insbesondere die neue Blaue Karte EU (seit November 2023) erleichtern die Zuwanderung von Fachkräften erheblich. Die Gehaltsschwellen für die Blaue Karte EU wurden deutlich abgesenkt, und der Personenkreis, der sie erhalten kann, wurde erweitert, darunter auch IT-Spezialisten ohne Hochschulabschluss unter bestimmten Bedingungen.
Die Liste der Mangelberufe für die Blaue Karte EU wurde stark erweitert und umfasst nun zusätzlich zu Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Humanmedizin auch zahlreiche weitere Berufe wie Führungskräfte in verschiedenen Bereichen, Tierärzte, Zahnärzte, Apotheker und Lehrkräfte.
Zudem wurde die kurz- und langfristige Mobilität für Inhaber einer Blauen Karte EU aus anderen EU-Mitgliedstaaten vereinfacht. Der Familiennachzug wurde privilegiert geregelt, und die Regelungen zur Beschäftigung und Anerkennung wurden verbessert. Die Einführung der Anerkennungspartnerschaft ermöglicht es Fachkräften mit ausländischem Berufsabschluss, das Anerkennungsverfahren erst nach der Einreise in Deutschland zu durchlaufen.
Fazit und Ausblick
Bulgarien steht vor der komplexen Aufgabe, den anhaltenden Brain Drain einzudämmen und gleichzeitig das Potenzial der Rückkehrmigration zu nutzen. Das Phänomen des Brain Drains ist direkt auf sozioökonomische Ungleichgewichte innerhalb der EU zurückzuführen. Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl Maßnahmen zur Eindämmung des Brain Drains als auch zur Förderung des Brain Gains umfasst, ist entscheidend und erfordert die Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Bildungssystem und Zivilgesellschaft in Bulgarien sowie einen Dialog zwischen Einwanderungs- und Auswanderungsländern.
Bulgarien steht vor der komplexen Aufgabe, den anhaltenden Brain Drain einzudämmen und gleichzeitig das Potenzial der Rückkehrmigration zu nutzen. Das Phänomen des Brain Drains ist direkt auf sozioökonomische Ungleichgewichte innerhalb der EU zurückzuführen. Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl Maßnahmen zur Eindämmung des Brain Drains als auch zur Förderung des Brain Gains umfasst, ist entscheidend und erfordert die Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Bildungssystem und Zivilgesellschaft in Bulgarien sowie einen Dialog zwischen Einwanderungs- und Auswanderungsländern.