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Bulgarien verliert weniger Arbeitsplätze

Nach aktuellen Zahlen, die die Statistikbehörde der Europäischen Union (Eurostat) in der letzten Woche vorgelegt hat, kann eine Verlangsamung des bulgarischen Arbeitsplatzabbaus festgestellt werden. Im dritten Quartal 2010 (Q3/2010) nahm die Erwerbstätigkeit gegenüber dem Vorquartal (Q2/2010) um 0,7 Prozent ab (prozentuale Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen in gebietsansässigen Produktionseinheiten gegenüber dem Vorquartal berechnet auf der Grundlage saisonbereinigter Daten). In den ersten beiden Quartalen 2010 waren noch deutlich höhere Rückgänge festgestellt worden: Q2/2010 zu Q1/2010 um 1,6 Prozent, Q1/2010 zu Q4/2009 2,0 Prozent (alle Werte saisonbereinigt), so Eurostat.

Die Vergleichswerte für den gesamten EU-Raum zeigten hingegen eine stabile Beschäftigungssituation: Sowohl für die ER16-Staaten (Euroraum) als auch für die EU27-Staaten (bei denen Bulgarien mit berücksichtigt wird) konnte im Durchschnitt keine Veränderung festgestellt werden (jeweils 0,0 Prozent Veränderung der Beschäftigung für Q3/2010 zu Q2/2010).

Sieht man sich die nicht-saisonbereinigten Werte für Bulgarien an, wird der zwar weiterhin andauernde, aber deutlich langsamer verlaufende Arbeitsplatzverlust noch klarer: Verglichen mit dem Vorjahresquartal Q3/2009, konnte für Q3/2010 ein Rückgang von 5,0 Prozent konstatiert werden, nach 6,5 Prozent und 7,3 Prozent für Q2/2010 zu Q2/2009 bzw. Q1/2010 zu Q1/2009. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation in Bulgarien zwar fortschreitet, der Abschwung aber an merklich Tempo verliert.

Arbeitskosten steigen trotz Krise

Eine weitere Statistik, die Eurostat gerade veröffentlicht hat, weist Bulgarien als das Land aus, in dem die Arbeitskosten pro Stunde derzeit am stärksten steigen (Q3/2010 gegenüber Q3/2009 um plus 10,2 Prozent gegenüber einem Wert von 0,5 Prozent für Deutschland und einem EU27-Durchschnitt von 1,2 Prozent. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, lässt sich dadurch erklären, dass vom massiven Arbeitsplatzverlust der letzten Monate anscheinend vor allem Menschen mit einem niedrigen Einkommen betroffen waren.

Unsere optimistische Prognose: Für 2011 sollte es zu einem Ende des Arbeitsplatzabbaus kommen, da in manchen Branchen bereits über eine Produktionsausweitung gesprochen wird und damit eine erhöhte Nachfrage nach Personal einhergehen wird. Das zunehmende Vertrauen der Westeuropäer, dass die Wirtschaftskrise überwunden ist, wird 2011 den für Bulgarien so wichtigen Tourismussektor stimulieren. Auch wird die bulgarische Wirtschaft im neuen Jahr von steigenden ausländische  Aufträgen im produzierenden Gewerbe (hier insbesondere der bulgarische Maschinenbau) profitieren, die vom anziehenden Wirtschaftswachstum in Westeuropa, insbesondere in Deutschland, getragen wird.

Statistik zum Arbeitsmarkt in Bulgarien – mehr als jeder achte Arbeitsplatz ging durch Krise verloren

Wir haben einmal die Entwicklung des bulgarischen Arbeitsmarkt in den letzten drei Jahren in Form eines Diagramms dargestellt. Datenbasis sind die Erhebungen der bulgarischen Statistikbehörde. Das Nationale Statistische Institut (NSI) ist immer eine gute Anlaufstelle, wenn man aktuelle Zahlen zur Entwicklung in Bulgarien benötigt.

Die aktuellsten Daten stammen aus dem Monat September 2010, deshalb haben wir als Zeitraum für unsere kleine Untersuchung September 2007 bis 2010 gewählt.

Man kann erkennen, dass von September 2007 bis September 2008 noch eine Zunahme an Arbeitsplätzen im privaten Sektor zu verzeichnen war: Im September 2007 registrierte die Statistikbehörde 1.767.923 Beschäftigte mit einem Arbeitsvertrag – genauer Zeitpunkt für die Messung ist jeweils das Monatsende. Ein Jahr später waren es bereits 1.863.747. Bis zum September 2009 nahm die Zahl der Arbeitnehmer dann um 143.877 ab – auf 1.719.870 Arbeitnehmer. Seit dem Vorjahresmonat gingen weitere bulgarische Arbeitsplätze verloren, jedoch verlangsamte sich das Tempo etwas: Der Beschäftigungsstand von 1.621.392 im September 2010 liegt um 98.478 unter dem Vergleichsmonat im Vorjahr.

Arbeitsmarkt in Bulgarien 2010
Arbeitsmarkt in Bulgarien 2010

Der jedes Jahr im September zu beobachtende überproportionale Rückgang ist saisonal zu erklären – die für die bulgarische Wirtschaft sehr wichtige Sommerurlaubssaison neigt sich dem Ende zu. Dadurch fallen viele Arbeitsplätze in den Urlaubsgebieten am Schwarzen Meer weg, außerdem kehren bulgarische Saisonarbeiter aus dem Ausland in ihre Heimat zurück.

Massiver Beschäftigungsrückgang in Bulgarien

Das Bild, das sich anhand der Statistik ergibt, ist ernst: Der bulgarische Arbeitsmarkt ist innerhalb von zwei Jahren um fast 250 Tausend Arbeitsplätze geschrumpft – mehr als jeder achte Arbeitsplatz in der privaten Wirtschaft fiel der allgemeinen Wirtschaftskrise zum Opfer. Gegenüber der bereits zum Jahresanfang kritischen Situation zum Jahresanfang hat sich bisher keine Besserung eingestellt. Im staatlichen Sektor sind derzeit 576.695 Bulgarinnen und Bulgaren angestellt. Auch hier gab es in den letzten Jahren einen Stellenabbau – im Jahr 2007 zählte der öffentliche Bereich noch 661.101 Mitarbeiter.

Lage auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt 2010

Etwa 100.000 Menschen, die in Bulgarien durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ihren Job verloren haben, haben sich bei dem Arbeitsamt als arbeitslos nicht angemeldet oder sind in Arbeitsillegalität geraten. Im vierten Quartal des Jahres 2009 ist die Anzahl der Beschäftigten um 315.000 Menschen gesunken. Zur gleichen Zeitperiode hat sich jedoch die Anzahl der Arbeitslosen mit 100.000 Menschen erhöht und auf diese Weise sind etwa 215.000 Menschen außerhalb der offiziellen Statistiken geblieben. Die Lage am bulgarischen Arbeitsmarkt 2010 ist kritisch.

Nur 3 Millionen gehören zu der Gruppe der Beschäftigten in Bulgarien. Der Hauptgrund der wachsenden Arbeitslosigkeit ist klar: Eine Reduzierung der Beschäftigung im realen Sektor infolge der abgenommenen Wirtschaftsaktivität. Es sind aber auch weitere Gründe, die im globalen Sinn die Ursachen auch der Finanzkrise erklären. Bulgarien hat kleine und offene Wirtschaft und jede Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen im Ausland wirkt sich automatisch auf den bulgarischen Arbeitsmarkt aus.

Bulgarien ist so stark von der ausländischen Konjunktur abhängig, dass ein größer Teil der bulgarischen Arbeitnehmer und ebenso der Arbeitsgeber sehr flexibel sein muss, ständing neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, sich von einem Sektor in einem anderen zu versetzen, um ihren Arbeitsplatz zu behalten.

Warum ist der bulgarische Arbeitsmarkt nicht mobil?

1) Ein gewisser Teil der Menschen im aktiven Alter stehen automatisch außerhalb dem Arbeitsmarkt. Nach den Daten der Nationalen Arbeitsagentur, gehören zu der Gruppe der dauernd Arbeitslosen (mehr als ein Jahr) vorwiegend Personen, die keine Qualifizierung (72.1%) oder Grundausbildung haben (69.4%), was für sie ein erhebliches Hindernis bei der Jobsuche ist.

2) Viele Arbeitslosen arbeiten wegen der hohen Arbeitsbesteurung auf dem grauen Markt. Für diese ist die 30% Besteuerung zum Nutzen des Staates ohne klare Vorteile daraus, ein Motiv auf dem grauen Markt zu arbeiten oder überhaupt nicht tätig zu sein.

3) Die Ausbildung, sowie die Grund-, als auch die Hochausbildung liefert nicht die notwendigen praktischen Kenntnisse, damit die Menschen später bei der Jobsuche genug flexibel zu sein.

4) Einige Menschen sind bei Branchen beschäftigt, die praktisch ihre Funktionalität aus der Vergangenheit verloren haben und nur dank staatlicher Zuschüsse weiterexistieren – etwa die Bulgarische Staatliche Eisenbahn, die Tabakindustrie, Landwirtschaft usw.

5) Etwa 20% der Beamten würden nach Schätzungen nicht flexibel sein, um im Fall einer Kündigung eine neue Arbeitsstelle aufzunehmen.

Trotz der Krise und der immer noch wachsenden Arbeitslosigkeit besteht auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt ein dringender Bedarf an Fachkräften. Die Experten sprechen über eine Deformierung des bulgarischen Arbeitsmarkts angesichts der Tendenz, dass die meisten Menschen einen Beruf ausüben, welcher ihrer Ausbildung nicht entspricht.

Diese Nicht-Űbereinstimmung zwischen Angebot und Suche auf dem Arbeitsmarkt ist auch ein Grund dafür, dass vielen Menschen während der Krise gekündigt wurde und nur qualifizierte Spezialisten ihren Arbeitsplatz behalten haben. Viele junge Menschen studieren und arbeiten, was sich ergibt.

Das Ergebnis sind diplomierte junge Leute, die keine praktische Erfahrung haben und auch keine gute Perspektive für berufliche Realisierung im gleichen Bereich, für den sie an die Universität theoretisch vorbereitet geworden sind. Zu dieser Realität kommt die Tatsache hinzu, dass ein Teil der Beschäftigten in Bulgarien schon als disqualifiertes Personal gelten. Wörtlich ausgelegt, es handelt sich um zerrisene Verbindungen zwischen dem Ausbildungssystem und dem Business.

Autor: Vera Filipova